Camion Pro: Deutscher Zoll unterstützt Sozialdumping im Transportgewerbe
In Deutschland ist der Zoll für die Aufdeckung illegaler Beschäftigungsverhältnisse und die Kontrolle zur Einhaltung des Mindestlohngesetzes zuständig. Obwohl osteuropäische Lkw-Fahrer bei einem Einsatz innerhalb Deutschlands ebenfalls dem Mindestlohngesetz unterliegen, misst der Deutsche Zoll bei entsprechenden Kontrollen offenbar mit zweierlei Maß und rechnet bei osteuropäischen Fahrern die Spesen auf den Mindestlohn an. Der Berufsverband Camion Pro hat diese aus Sicht seiner Anwälte fragwürdige Praxis in einer Pressekonferenz am Dienstag öffentlich gemacht und dabei aufgezeigt, wie der Zoll damit das Sozialdumping im Transportgewerbe unterstützt.
Der Deutsche Zoll erkennt bei osteuropäischen LKW-Fahrern Spesen als Mindestlohn an und leistet somit dem Sozialdumping aktiv Vorschub. Diese Recherchen stellte der Berufsverband Camion Pro auf seiner Online-Pressekonferenz am 6. Juli 2021 der Öffentlichkeit vor.
Die Bundeszolldirektion bestätigte die Rechercheergebnisse weitgehend in einer Stellungnahme gegenüber der Organisation.
Diese „schwarzen Lohnzahlungen“ bedeuten nicht nur eine erhebliche Wettbewerbsverzerrung zu Lasten heimischer Unternehmen, sondern sind nach Ansicht von Camion Pro vor allem das Schlüsselelement des Sozialdumpings in der europäischen Transportbranche.
Welche Tragweite diese Erkenntnisse für illegale Beschäftigung und Sozialdumping in Deutschland haben, wird klar, wenn man das Ausmaß und die Intensität dieser illegalen Beschäftigungsverhältnisse beachtet. Die betroffenen Fahrer erhalten bis zu 80 Prozent ihres Lohns als „Spesen“ und damit sozialversicherungs- und steuerfrei.
Die betroffenen Fahrer sind somit faktisch weder renten- noch arbeitslosenversichert und haben somit auch keinen gesetzlichen Kündigungsschutz. Bei Auftragsmangel oder technischen Defekten werden den Fahrern diese „Spesen“ gestrichen. Allein an diesen Fakten wird erkennbar, dass es sich hierbei um ein hochkriminelles Bezahlungssystem handelt und nicht um echte Spesen oder Aufwandsentschädigungen und schon gar nicht um regulären Lohn gemäß Mindestlohngesetz.
Der Anteil der Fahrer, die für osteuropäische Transportunternehmen in Deutschland tätig sind und von diesen „schwarzen Lohnzahlungen“ betroffen sind, geht nach Schätzungen von Camion Pro in die Hunderttausende.
Das Vergütungssystem stellt aber nicht nur einfach Schwarzarbeit dar. Bei genauerer Prüfung der Verhältnisse wird klar: Dieses „Spesenmodell“ ist nicht nur ein zentrales Element des grassierenden Sozialdumpings, sondern ein wichtigstes Instrument, um die Fahrer vor allem aus der Ukraine und Belarus (Weißrussland) gefügig zu machen und alle Arbeitnehmerrechte auszuhebeln. Mit Hilfe dieses Systems sind Willkür, Repressalien und Schlimmeres in osteuropäischen Transportfirmen an der Tagesordnung. Die Verhältnisse in diese Unternehmen tangieren teilweise Straftatbestände wie Menschenhandel.
Die Erkenntnis, dass osteuropäische Fahrer „schwarz“ beschäftigt werden, beruht auf Undercover-Recherchen von Camion Pro aus dem Jahre 2016 in Rumänien (Film: "Die Spur des Geldes"). Mittlerweile wurde das unter anderem durch den DGB ("Faire Mobilität" – Anlaufstelle für Fahrer, die von Sozialdumping betroffen sind) sowie bei zahlreichem TV-Dokumentationen belegt. Auch Behörden wie das Bundesamt für Güterverkehr bestätigen diese Praxis. Derzeit sind zu diesem Thema zwei Studien mit internationalen Universitäten in Arbeit, bei denen dem Sachverhalt dieser Art der illegalen Beschäftigung ebenfalls eine Schlüsselrolle zukommt.
Die Generalzolldirektion die, wie auch das Bundesfinanzministerium zur Pressekonferenz eingeladen waren, um die Sichtweise der Behörde darzulegen und eventuelle Missverständnisse aufzuklären, blieben der Veranstaltung fern. In einer schriftlichen Stellungnahme rechtfertigt der Zoll seine Vorgehensweise allerdings und verweist unter anderem auf die Verantwortung der entsendenden Staaten und mangelnde Kontrollmöglichkeiten.
Rechtsanwältin Margit Fink, Fachanwältin für Arbeits- und Sozialrecht bei der Kanzlei SGP Rechtsanwälte, Neu-Ulm, erklärt dazu: „Der Argumentation des Zolls kann man nicht folgen, indem nur darauf verwiesen wird, dass es nicht Aufgabe des Zolls ist, die Einhaltung der Mindestlohnvorschriften in anderen Ländern zu überprüfen. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist davon auszugehen, dass der Arbeitnehmer zumindest einen sozialversicherungsrechtlichen Schutz nach allgemeinem europäischen Standard haben muss. Davon kann in diesen Arbeitsverhältnissen keine Rede sein.“